Interview mit Manuela Rousseau auf tagesschau.de vom 29.09.2010
"Frauen müssen Freude am Wettbewerb finden"
Ellenbogen verpackt als Emanzipation

 

Emanzipation im Neo­liberalis­mus Gleichberechtigung und Gleichstellung von Frau und Mann beschäftigen Politik und Ge­sell­schaft seit Jahrzehnten. Gleichberechtigung in Unter­nehmen wird erst seit einigen Jahren in der Öffentlichkeit intensiv diskutiert. Im folgenden Interview, welches auf der Online-Nachrichtenseite tages­schau.de er­schienen ist, geht es um die Gleichberechtigung der Geschlechter in Unternehmen auf der Führungsebene.

 

Frauen müssen Freude am Wett­be­werb finden     

Zur Person: Manuela Rousseau ist Leiterin der Corporate-Social-Res­pon­sibility-Abteilung der Beiersdorf AG, Hamburg. Sie sitzt im Auf­sichtsrat der Beiersdorf AG und im Aufsichtsrat der maxing­vest AG. 2002 wählte ‚Vogue Business‘ Manuela Rousseau unter die ‚100 Top Business Frauen‘ in Deutschland.     

tagesschau.de: Studien zeigen: Je höher die Hierarchieebene, umso weniger Frauen gibt es. Bekommen Frauen nicht die gleichen Karriere­chan­cen wie ihre männlichen Kollegen oder schrecken sie vor der Verant­wortung zurück?     

Manuela Rousseau: Es kommen zwei Dinge zusammen. Erstens sind die gut ausgebildeten Frauen auf dem Weg. Das dauert nur eine gewisse Zeit, bis sie oben angekommen sind. Zweitens müssen sich Frauen wirklich konse­quent entscheiden. Frauen haben die Möglichkeit, voll berufstätig zu sein und eine Karriere anzustreben. Frauen haben auch die Möglichkeit, sich für Kinder zu entscheiden.    

Es gibt außerdem den Weg, mit Kindern Karriere zu machen. Das Wichtigste ist: Jede Frau muss für sich diese Entscheidung treffen und die Konsequenzen tragen. Wenn eine Frau ja sagt zu Führung und zu Verantwortung, dann sagt sie auch ja zu langen Arbeitszeiten, zu Reisen, zu internationalem Arbeiten und ja zum Arbeiten in Hierarchien.



Eines vorweg: Gleichberechtigung bzw. Geschlechter­ge­rechtigkeit sind von größter Bedeutung für eine aufgeklärte und solidarische Gesellschaft. Es ist nicht akzeptabel, wenn Frauen aufgrund ge­sell­schaft­lich­er Diskriminierung der Weg zu bestimmten Arbeitsplätzen oder Berufsfeldern versperrt, Männern jedoch zugänglich ist.
Das berechtigte Streben nach Gleichberechtigung wird in der darge­stellten Passage aber von einer etwas anderen Argumen­tationslinie über­lagert. So wird die Verantwortung der Frauen und der Ge­sell­schaft, für Gleich­berechtigung zu sorgen, von Rousseau mit drei Bedingungen ergänzt. Damit ist klar, daß es nicht nur um diskriminierungsfreies Arbeiten in allen Posi­tionen geht, sondern daß von „den Frauen“ etwas Zusätzliches verlangt wird. Sie sollen laut Rousseau auch die unbequemen Seiten des Arbeitslebens für sich akzeptieren. Sie sollen sich dem­nach in Hierarchien ein- und ihnen unterordnen („Sagt ja zu […] Arbeiten in Hierar­chien“), sie sollen lange Arbeitszeiten akzeptieren („Sie sagt ja zu […] langen Arbeitszeiten“) und bereit sein, für die Arbeit Orts­wechsel über große Distanzen hinzunehmen („ja zu […] internationalem Arbeiten“). Und nicht nur das. Sie sollen diese Bedingungen nicht nur akzeptieren, sondern auch enthusiastisch „ja sagen“.

Diese Aussagen sind paradox. Frauen sollen von sich aus Dinge ein­fordern, die klassischerweise als Gründe dafür gelten, daß Frauen bestimmte Berufs- und Arbeitsbereiche meiden. Warum sollte überhaupt ein Mensch, ganz gleich, ob Frau oder Mann die hier angesprochenen schlechten Arbeitsbedingungen für sich ein­for­dern wollen?

 

tagesschau.de: Wie müssen sich Frauen persönlich weiterentwickeln, um auf der Führungsebene Karriere zu machen? 

Rousseau: Wenn Frauen nicht bereit sind, die Regeln auf den Führungs­ebenen mitzuspielen, kommen sie nicht weit. Viele Frauen haben mentale Blockaden, die es ihnen unnötig schwer machen. Sie sind nicht direkt genug, wenn es zum Beispiel um die Bewerbung um eine Führungsposition oder eine angemessene Bezahlung geht. Als Frau muss man deutlich adressieren und seine Bedingungen einfordern. 
Außerdem müssen Frauen akzeptieren, dass aufgrund knapper Führungs­ressourcen ein Wett­be­werb stattfindet, in dem es eben Ellen­bogen gibt. Frauen kann es helfen, Freude am beruflichen Wett­be­werb zu entwickeln, Selbst­zweifel zu überwinden und Frauen müssen den Um­gang mit Macht realistisch ein­schätzen. Ich habe viele Frauen erlebt, die sagen: ‚Ich will keine Macht‘, sie meinen, Macht sei etwas Negatives. Macht bedeutet, positiv ge­stalten zu können. Macht bedeutet nicht, Ellenbogen auszufahren, Men­schen zu über­rumpeln oder sich Vorteile zu ver­schaffen.

 

In diesen Absätzen spricht Frau Rousseau Klartext. Ihre Aussage, Frauen müßten bei den bestehenden „Regeln auf den Führungsebenen mitspielen“, ist genau ge­nommen eine unbewußt sexistische. Die impliziten Regeln und Verhaltenskodizes eines Ge­sell­schafts­be­reichs, der bisher streng patriarchalisch organisiert und fast aus­schließlich von Männern besetzt ist, sollte also von Frauen bedingungs­los akzeptiert werden und ihr eigenes Verhalten bestimmen. Wenn sich eine Frau dieser „Kultur“ möglicherweise nicht anpassen möchte, sondern eine etwas sanf­tere Kultur vorziehen würde, so wird dies von Rousseau als „mentale Blockaden“ bezeichnet und damit pathologisiert. Diesen Frauen wird damit über ihr angeblich falsches Wertesystem hinaus vorgeworfen, sie hätten ein psychisches Problem. Der Fehler wird von der hier sprechenden weiblichen Führungskraft also nicht im patriarchalischen System gesucht, sondern bei den Frauen selber!

Und so sollen die Frauen, wie in der Führungsetage erwünscht, einen Sinn für Macht entwickeln, die „Ellenbogen“ ausfahren und sich im „Wettbewerb“ durchboxen. Gleich im nächsten Satz widerspricht sich Frau Rousseau aber und relativiert, Ellenbogenbewußtsein bedeute ja nicht automatisch, daß andere Menschen „überrumpelt“ würden oder daß man sich „Vorteile verschaffe“. Dieser Nachschub wirkt insgesamt sehr unglaubwürdig, da er der gesamten Argumentationslinie widerspricht. Er kann folglich als eine Art verbale Rela­tivierung verstanden werden, wobei die Argumentation im Grundsatz unberührt bleibt. Frau Rousseau möchte, daß sich Frauen an die offenbar wenig zivilisierten Verhaltens­weisen einer aggressiven Männerwelt anpassen, anstatt diesen Ge­sell­schafts­be­reich durch ange­messenere, zivilisiertere Umgangsformen, etwa durch Gemein­schafts­sinn und Kooperation, positiv zu ver­ändern.

 

tagesschau.de: Beeinflussen Frauen in Führungsgremien ein Unter­nehmen positiv?

Rousseau: Studien belegen eindeutig, dass gemischte Teams erfolg­reicher sind. Wenn Frauen sich inhaltlich auf Augenhöhe mit den Männern bewegen, haben Frauen die Möglichkeit andere Facetten einzubringen, die manchmal im Alltag unter­gehen. Das heißt, stärker auf unterschätzte Faktoren, wie offene Kommunikation, Respekt, Ge­rechtigkeit, Anerkennung und Lob zu achten. Das beeinflusst die Arbeitsatmosphäre wesentlich. Diese Mentalität haben Frauen eher als Männer. 

tagesschau.de: Die einen behaupten, dass Frauen systematisch nicht in Führungs­positionen eingesetzt werden. Einige Unternehmen beschweren sich aber, dass sie nicht genügend Frauen finden, die eine Spitzen­position haben wollen. Was stimmt?

Rousseau: Es gibt noch nicht viele Frauen in Vorstands- und Aufsichtsräten. Das liegt zum Teil auch an den Frauen selbst. Der Aufsichtsratsvorsitzende bei Beiersdorf hat einmal gesagt: „Wenn ein Mann mal so richtig erleben möchte, was es heißt, sich Körbe einzuholen, soll er Frauen anrufen und fragen, ob sie Lust hätten, in einem Aufsichtsrat mitzuarbeiten“. Oft ist es so, dass Frauen da eher zögern. Bei Männern hört man – scherzhaft gesprochen – schon die Sektkorken knallen.

 

Rousseau spricht hier von Werten, die eher bei Frauen als bei Männern vorhanden seien („Respekt“, „Gerechtigkeit“, „offene Kommunikation“). Genau diese Eigen­schaften sind es aber, die, wie sie selber weiter oben ja schon erkannt hat, der Machtmentalität grundlegend zuwiderlaufen. Sie fordert also paradoxerweise beides von Frauen: Daß sie einerseits alle angeblich typisch weiblichen „Tugen­den“ beibehalten und zugleich die angeblich typisch männliche Machtorientierung über­nehmen. Der erwähnte Umstand, daß die meisten Frauen anscheinend Führungs­positionen meiden, wird als Fehler der Frauen interpretiert. Andersherum könnte Frau Rousseau im Sinne dieser vermeintlichen Mehrheit der Frauen auch fordern, nicht sie sollten sich ändern, sondern die Männer bzw. die Kultur in den Chefetagen. Sie selber geht aber mit jedem ihrer Sätze mit einem patriar­chalischen System konform und kritisiert es nicht einmal.

 

tagesschau.de: Der Anteil von Frauen in Führungspositionen ist gestiegen, sie sind aber längst nicht mit den Männern gleichgezogen. Wohin geht der Trend? 

Rousseau: Wir brauchen neue Rahmenbedingungen und Arbeitsmodelle, die zeit­gemäß sind und die es Frauen ermöglichen, zunehmend berufliche Ver­ant­wortung zu übernehmen und Karriere zu machen. Vielleicht kommen wir auf Dauer dahin, dass auf mittleren Führungs­ebenen Führung in Teilzeit möglich wird. Das Bewusstsein für diesen Bedarf steigt kontinuierlich und das stimmt mich optimistisch.

tagesschau.de: Was muss sich in Deutschland ändern, damit mehr Frauen Führungspositionen besetzen? 

Rousseau: In den kommenden Jahren haben wir demographisch gesehen immer weniger qualifizierte Arbeitskräfte zur Verfügung. Die Arbeitsbelastung einzelner nimmt stetig zu, es wird schwieriger, Beruf und Familie zu verein­baren. Wir müssen zwangsweise einen Weg finden, wie sich Männer und Frauen ihre Arbeit so aufteilen können, dass sie den Unterhalt der Familie sicher­stellen können. Das wird die Aufgabe der Zukunft: Die richtigen Unter­nehmens­struk­turen zu finden, damit Männer und Frauen gleichermaßen Karriere machen können und auch Zeit für ihre Kinder oder auch für pflege­be­dürftige Angehörige finden. Mehr Mit­einander statt Nebeneinander ist eine Antwort auf ge­sell­schaft­lich­e Heraus­forderungen, in denen Frauen tatsächlich die gleichen Chancen finden.

 

Die von Rousseau hier geäußerten Forderungen nach besseren Bedingungen für erziehende und zugleich arbeitende Mütter sind absolut legitim. Allerdings widerspricht sie sich klar selber, indem sie am Ende „mehr Miteinander statt Nebeneinander“ fordert. Zu Anfang gefordert sie ja, Frauen müßten sich mit der Benutzung des „Ellenbogens“ vertraut machen. Des Weiteren sind in diesen Absätzen wieder zwei Setzungen Grundlage der Argumentation. So werden wieder der demo­graphische Wandel und ein aus ihm vermutlich resultierender zu­künf­tiger Arbeitskräfte­mangel als Begründung für die Gleich­berechtigungs­be­strebungen angeführt. An dieser Stelle wird erneut klar, daß es nicht in erster Linie, mög­licherweise sogar überhaupt nicht, um Menschenwürde und Gleich­berech­tigung geht. Die geäußerten Relativierungen und die Forderung, auch die Unter­nehmens­struk­turen müßten sich den Notwen­digkeiten der Kindererziehung anpassen, sind nur rhetorische Entschärfungen der ersten Absätze. Im Kern geht es um die wirtschaftliche Entwicklung und die Volks­wirtschaft, weniger aber um das Wohlergehen der Menschen.

Insgesamt ist dieses Interview ein typisches Beispiel für das Verhältnis des Neo­liberalis­mus zur Emanzipation der Frau. Menschen werden aufgefordert, nicht etwa das zu tun, was ihnen Freude bereitet und sich ein humanes Arbeitsumfeld zu suchen, sondern sich in ein offensichtlich archaisches System von Wettbewerb und Hierarchie einzureihen, um dort auf der Karriereleiter in einer Hierarchie auf­zu­steigen und über andere zu herrschen. Mit dieser Argumentationslinie wird der Druck von Unternehmen genommen, für ange­messene Verhaltensweisen jenseits eines überkommenen und patriarchalischen Gehabes zu sorgen.

 

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