Totschlagargument Globaler Wettbewerb
Bildung unter den Ketten neoliberaler Ideologie
Quelle: Andrea Beyerlein Invterview mit Holger Rupprecht / 14. Oktober 2004 / Link
Der Grund für die Existenz der Pisa-Studie ist der hier geäußerte Glaube an einen internationalen Standortwettbewerb, in dem es gelte, sich vorteilhaft zu positionieren.
Natürlich ist es wichtig, das Schulsystem ständig zu verbessern. Ob dies allerdings mit stupiden Lese- und Rechentest realisiert werden kann, darf wohl bezweifelt werden. Schließlich ist eine für den Menschen und die Gesellschaft gute und sinnvolle Bildung vor allem eine, die kritisches und freies Denken sowie Kreativität und Individualität fördert. Und das wird weder mit der Pisa-Studie, noch mit den anderen neoliberalen Leistungsvergleichen gemessen. Hier geht es lediglich um oberflächliche Kompetenzen wie das Lesen, Schreiben oder Rechnen.
Wenn Schüler früher auf den Arbeitsmarkt oder in die Universitäten kommen, wird dies im Neoliberalismus allgemein als positives Qualitätsmerkmal bewertet. Je früher die Schüler also eingeschult werden und je mehr Stoff man in möglichst kurzer Zeit in ihre Köpfe dreschen kann, desto besser die Bewertung aus neoliberaler Perspektive. Daher wird hier auch das in vielen Bundesländern eingeführte Abitur nach 12 Jahren gefeiert. Der Kommentar, in der DDR habe das ja auch schon gut funktioniert, ist ein Witz. Das technokratisch-propagandistische DDR-Schulsystem als Garant für Qualität und gute Bildung darzustellen, ist schon ein starkes Stück.
Zu guterletzt wird ausgerechnet ein Gymnasium genannt, welches den Namen eines großen Vordenkers für freie und persönlichkeitsorientierte Bildung trägt und den Pisa-Test auf seine SchülerInnen losläßt. Das läßt tief blicken und verrät einiges über die unkritische Haltung vieler LehrerInnen, die den Sinn und Zweck derartiger interessengeleiteter Leistungsvergleiche nicht durchschauen.
Es wird hier ein Szenario skizziert, welches über eine rein ökonomische Dimension hinausgeht. Es werden Gesellschaften als Ganzes (Europa versus USA versus Ostasien) als in Konkurrenz stehende Gebilde dargestellt. Hier schwingt also die Annahme mit, alle Teile einer Gesellschaft stünden mit allen Teilen der konkurrierenden Gesellschaften im Wettbewerb. Das stimmt natürlich nicht, ist aber eine beliebte Verallgemeinerung neoliberaler Argumentation. Die Bürger eines jeden Landes sollen sich einer Konkurrenz mit den Menschen der anderen Machtblöcke ausgesetzt sehen, damit ihnen weitgehende Zugeständnisse bezüglich Lohnverzicht und die Beschneidung ihrer Arbeitnehmerrechte abverlangt werden können.
Daß es eigentlich primär darum gehen sollte, das Ökosystem und den langfristigen Fortbestand der Menschheit zu sichern, tritt hier in den Hintergrund, wird sogar gar nicht mehr erwähnt. Zudem positioniert man sich für die CO²-Abscheidung, welche eine schlechte Alternative zu den erneuerbaren Energien zugunsten des Energie-Oligopols darstellt und eindeutig der Kategorie des Pseudo-Umweltschutzes zuzurechnen ist.
Amy Chua
Die Mutter des Erfolgs
Der Bologna-Prozess ist ein in mittlerweile 46 europäischen Ländern zeitgleich ablaufender Prozess des Zusammenwachsens Europas auf dem Gebiet der Hochschulbildung. Als wichtigstes Ziel im Bologna-Prozess gilt die Schaffung eines gemeinsamen Europäischen Hochschulraums bis zum Jahr 2010.[...]
Damit ist auch die Zielvorstellung verbunden, die europäischen Hochschulen im globalen Wettbewerb der Bildungssysteme attraktiver zu machen. Zur Erreichung der Ziele sieht der Bologna-Prozess eine Reihe von Instrumenten vor, darunter die Einführung gestufter Studiengänge mit den drei Stufen Bachelor, Master und Promotion,[...] eines Kreditpunktesystems, die Kooperation im Bereich der Qualitätssicherung [...]
Neben der Agenda der Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität der Europäischen Hochschulraums, die von vielen Akteuren als das zentrale Anliegen wahrgenommen wird, heben die europäischen Hochschulen deutlich hervor, dass auch die Agenda Partnerschaft und Kooperation eine herausragende Bedeutung[...]
Bildung für Nachhaltige Entwicklung und der Bologna Prozess Die Umsetzung des Bologna-Prozess in Deutschland - Von Peter Zervakis und Marijke Wahlers / Link
Die Maßnahmen gehen alle auf Kosten einer guten und kritischen Bildung der Studierenden. Die Mehrstufigkeit erlaubt den Hochschulen das Heraussieben der "Besten", in dessen Zuge die "Durchschnittlichen" leicht hinausgeworfen werden können. Das sogenannte "Kreditpunktesystem" ermöglicht den Hochschulen darüber hinaus, die Freiheit der Studierenden weitgehend einzuschränken und ihre Art zu lernen und zu arbeiten streng zu kontrollieren und zu normieren. Eine individuelle Spezialisierung auf selbstgesetzte Themen wird erschwert und zunehmend durch standardisierte Themen und Hausaufgaben wie in der Schule klar eingeschränkt. Wie und in welcher zeitlichen Abfolge Inhalte durch Studierende behandelt werden, wird starr vorgegeben - mit dem erwünschten Nebeneffekt, Studierende möglichst schnell und effizient durch die Uni auf den Arbeitsmarkt schleusen zu können.
Mit der hier erwähnten "Qualitätssicherung" ist die Akkreditierung von Studiengängen gemeint. Jeder Studiengang muß sich hierbei externen Begutachtungen unterwerfen, die angeblich die Qualität der Studiengänge objektiv beurteilen. Die Kriterien für das, was hier als Qualität definiert wird, werden bezeichnenderweise weder von den WissenschaftlerInnen des jeweiligen Studiengangs, noch von den Studierenden bestimmt. Die Akkreditierungen sind somit unter anderem ein Instrument, um Universitäten bzw. Studiengänge durch von außen gesetzte (neoliberale) Politikvorstellungen fernzusteuern.
Amy Chua
Die Mutter des Erfolgs
Einen Platz für die europäischen Hochschulen außerhalb einer global orientierten Umwelt gibt es ebenso wenig, wie einen Platz für eine Volkswirtschaft, die sich außerhalb des globalen Getriebes halten möchte. Vor einer rein negativen Wahrnehmung ist zudem zu warnen, denn sie verkennt positive Effekte und Chancen globaler Prozesse: Mit der Etablierung globaler Ordnung können Unsicherheiten beseitigt und Mechanismen der Arbeitsteilung etabliert werden, die mit Solidarisierungseffekten und transnationalen Vergesellschaftungen verknüpft sind (vgl. Münch 2001, S. 159). Auch gegen die Etablierung globaler Werte, wie sie der grundlegenden Ethik der guten wissenschaftlichen Praxis entsprechen kann insgesamt wenig einzuwenden sein (vgl. Müller-Böling 2006)
[...] In der internationalen Arbeitsteilung kommt den europäischen Volkswirtschaften eine Rolle zu, die Wissen einen besonders hohen Stellenwert einräumt. Mit der Verkürzung von Innovationszyklen ist eine Fähigkeit zur selbstgesteuerten Aneignung von Wissen und einer aktiven Gestaltung der eigenen Bildungsbiographie unumgänglich. Wesentliches Ziel ist hier die Ermöglichung lebenslangen Lernens und die Steigerung der Durchlässigkeit des Hochschulsystems. Das Set an erforderlichen Kompetenzen wird insbesondere auch um unmittelbar globalisierungsrelevante sprachliche und interkulturelle Fähigkeiten erweitert.
"Globalisierungsgemäß" ist das Etikett, welches auf diese Bildungsreform geheftet wird. Damit möchte man die berühmte "Alternativlosigkeit" zu dieser Politik konstruieren. Die Ziele der Autoren und des Europäischen Rats sind dann auch rein ökonomischer Natur. Irgendwie soll dann am Ende durch Wirtschaftswachstum auch sowas wie "sozialer Zusammenhalt" gestärkt werden. Ein Zusammenhang, der sich nicht ohne weiteres erschließt.
Die polemische Andeutung, den Hochschulen drohe der Untergang, wenn sie sich den Globalisierungsprozessen nicht unterwürfen, sondern selbstbestimmte Wege gingen, setzt den Gesellschaftsbereich 'Bildungssystem' quasi gleich mit dem Gesellschaftsbereich 'Wirtschaft'. Die Globalisierung führe darüber hinaus zu einer positiven "transnationalen Vergesellschaftung", die durch Arbeitsteilung charakterisiert sei. Davon, wie positiv eine solche globale Arbeitsteilung und wie solidarisch die Völker in der globalen Weltwirtschaft doch sind, können die Weltmarkt-Näherinnen in Bangladesch oder die Plastikspielzeug-Zusammenstecker in der chinesischen Provinz wohl ein Lied singen. Wie eine solche Arbeitsteilung im Wissenschaftsbereich aussehen kann, sei mal dahingestellt, die ökonomische globale Arbeitsteilung aber als positives Beispiel zu nennen ist befremdlich. Wie die globalen Werte aussehen, die sich ein Herr Müller-Böling von der Bertelsmannstiftung wünscht, kann man sich ja denken. Es dürfte sich um die 'Werte' von ökonomischer "Freiheit" und dem "Markt" als ideologische Leitsterne handeln.
Der dritte Absatz des Zitats handelt um das gogenannte lebenslange Lernen. Wissen solle ein leben lang "selbstgesteuert" angeeignet werden. Wenn die Verkürzung der Schulzeit und die Abspeisung eines Teils der Studierenden mit einem halben Abschluß (Bachelor) von den Selben Menschen gefordert wird, kommt der Verdacht auf, daß es sich um eine Teilprivatisierung der Bildung handelt: Der Staat zieht sich zum Teil aus der Bildung heraus und überträgt die Verantwortung an jeden Einzelnen, sich nach der Schul- oder Studienzeit selbstständig fortzubilden - also ohne daß er dies finanziert. Hiervon dürften nicht zuletzt private Bildungsdienstleister wie der Bertelsmann-Konzern profitieren. Kein Wunder also, daß die Bertelsmannstiftung und das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) Maßnahmen wie die Verkürzung der Schul- und Studienzeiten vorantreiben.
Wir meinen: Der 'Globale Wettbewerb' ist ein universeller Kampf- und Erpressungsbegriff, mit dem Neoliberale ihre politische Agenda vorantreiben. Es ist schon ein starkes Stück, mit welcher Unverblümtheit Dieter Lenzen, Hans-Peter Blossfeld, Hans-Peter Blossfeld, Wilfried Bos und andere unter dem Deckmantel wissenschaftlicher Objektivität politische Meinungsmache für neoliberale Bildungsreformen betreiben.