Oliver Samwer und Rocket Internet
Analyse einiger Aussagen des Firmenchefs jenes Internetkonzerns

 

Rocket Internet ist ein Berliner Unternehmen, dessen Geschäftsmodell darin besteht, erfolgreiche Internet-Geschäftsmodelle anderer Firmen zu kopieren und Startups einzuverleiben, um Rendite zu generieren. Das Unternehmen ist darum bemüht, ein Mustermodell neoliberalen Unternehmertums nach innen und außen darzustellen (bald auch ausgehend vom passenden Gebäude phantastischer Investorenarchitektur). Ziele von Rocket sind eine hohe Rendite und die Marktführerschaft.

Um zu zeigen, um was für einen Menschen es sich beim Rocket-Internet-Geschäftsführer Oliver Samwer handelt und was für eine Unternehmenskultur bei Rocket vorherrscht, seien hier eine von ihm verfaßten und von Mitarbeitern geleakten, äußerst unrühmlichen E-Mail aus dem Jahr 2011 im englischsprachigen Original dargestellt - und im Anschluß Aussagen aus Interviews.

 

From: Oliver Samwer / Subject: when is it time for blitzkrieg
To: [redacted] / Cc: [redacted] / Date: October, 2011

[Name], [Name] and the other founders globally in furniture, i need to know from you, when it is time to do the same in furniture, that means when it is time to take 100% of the market, full scale investment attack etc – as see below.

there are only 3 areas in ecommerce to build billion dollar business: amazon, zappos and furniture. the only thing is that the time for the blitzkrieg must be chosen wisely, so each country tells me with blood when it is time. i am ready – anytime!

Team in India, Turkey, Australia, South Africa, South East Asia, I want you to change strategy and become the fastes, most aggressive and most succcessful company we ever built. You both face the same situation of coming late into market but sitting in the most interesting markets of the world and therefore I want you both to follow the same strategy. [...]

1. We must be number one latest in the last month of next season. Full month, not a discount sales month.

Why ? Because only number one can raise unbelievable money at unbelievable valuations. I cannot raise money for number 2 etc and I have seen it how easy it is for me in Brazil and how difficult in Russia, because our team fucked up.[...]

What you need and do not have (this is not criticism, this is oberservation):

1. You have not enough top buyers: you need to be number one in shoes, apparel, sports, jewelerey, whatever category makes sense. we can only get to 80% marketshare if we beat our competitors by aggressiveneess in each category, it must be a blitz-krieg-invasion. i think you should have 25 top buyers, top in each category, start looking now. you must OWN each category. australia mistake, not enough focus on shoes, instead apparel

and so they are losing out in shoes. the strategy is: own every country and if you have to sacrifice, focus on shoes as priority. best is if you can master all.

2. you need more top people. more mckinseys, goldman. find young talent, aggressive talent, smart detailed.

3. you need to ask much more brazil, russia and germany for their lessons, mistakes, improvements. russia did not do reports like germany and so they screwed up. [...]

Summary: i give you all the money to win, i give all the trust, but you come back with unmatched success. If i see that you are wasting my money, that you are not german detail oriented, that you are not fast, that you are not aggressive, that you are not data driven, that you are not doing logistics well, upload inventory fast, buying wrong inventory, then i get angry and do like in russia, where no people leading the company now and i lost a ton of money and the founders lost 50% of their equity and no salary for 6 months. we are in the same boat, everyone has to do his mission.

 

Eine Email wie eine Gehirnwäsche

Was in diesen ersten Absätzen auffällt, ist der massive Druck, der erzeugt wird, wenn alle möglichen betriebswirtschaftlichen Ziele aufgezählt werden, ohne differenzierte Erklärungen. Es geht um Marktanteile, Pläne, Kennzahlenoptimierung und das Bezwingen der Wettbewerber. Die Aggressivität im Ton zeigt, wie unsympathisch und unmenschlich Oliver Samwer als Chef zu seinen Untergebenen ist. Hier regiert nicht diplomatisches Fingerspitzengespür, sondern die Peitsche. Besser wäre es, auf Augenhöhe Themen auszudiskutieren.
Wie die weiteren Passagen der Email zeigen, ist eine einvernehmliche Kommunikation offenbar aber nicht gewollt.

Samwer verwendet den etwas modifizierten NS-Propagandabegriff "blitz-krieg-invasion". Eine solche sei notwendig, um den Markt im Sinne des Unternehmens gegen die Konkurrenz unter die eigene Kontrolle zu bringen. Mit derartigen Nazi-Kriegsvokabeln zeigt Samwer seine Ideologie, im Zuge derer ohne Rücksicht auf Verluste Gewinne und Marktanteile nach oben gepeitscht werden sollen.

Dazu paßt auch der Chauvinismus und Nationalismus Samwers ("If i see that you are wasting my money, that you are not german detail oriented...").
Samwer droht darüber hinaus mit mehrmonatigem Entzug des Arbeitslohns, wenn nicht die richtigen Zahlen geliefert würden. Dies ist ein unglaublicher Übergriff auf seine Mitarbeiter.

 

We are coming late, so we need to be the most aggressive, so aggressive that every competitor is surprised because he cannot imagine that we are SOO aggressive. to give you an example in brazil in groupon my competitor did 3m a month and had 80 sales people. i assumed in 4 months he would go to 300 salespeople and 6m so i told the team to have 500 salespeople in 4 months and 10m monthly revenues. we won. yes, there was some collateral damaage (it could have been done cheaper wiht more time), but i won and this it was matters so i could raise money and optimise all the missing parts.

Provide a plan over this weekend that includes all your recommendations, thinking because i can give you the money, the knowhow, the strategy, but i will only do a plan that you 100% believe in and that is signed with blood. this is not olis plan, this must be your plan, our plan.

Never forget there are only 2 big areas in ecommerce: amazon and zappos. this is the last chance in your life! the chance for another billion dollar ecommerce company will never come again. This is over, after amazon there came only zappos, so we cannot lose this, because your grand children will ask why you why you did not become it.

Surprise me with your aggressiveness, but smart and thought through aggressiveness – learn from the russian and japanese mistakes and the german and brazilian successes !

This is our last chance in ecommerce to build an Amazon company. [...]

I am the most aggressive guy on internet on the planet. I will die to win and i expect the same from you!

 

Es folgt ein bösartiger Schachzug von Samwer, in dem er fordert, die adressierten Führungskräfte müßten nun über das Wochenende einen Plan ausarbeiten und ihm vorlegen. Dieser Plan müsse mit "Blut unterschrieben sein". Es wird also ein ungeheurer Druck aufgebaut, daß dieser Plan schlüssig und überzeugend werden müsse. Nebenbei bemerkt handelt es sich zudem eine arbeitsrechtlich unzulässige Forderung, sofern nicht explizit Wochenendarbeit vertraglich vereinbart ist.

Man gibt sich erfolgsorientiert und fleißig. Nationalismus und protestantische Arbeitsethik sind die Karten, die man spielt. Samwer listet eine Liste von Produkten und Marktsegmenten auf, die von Rocket Internet Firmen abgedeckt werden. Es wirkt ganz so, als gehe es bei Rocket Internet nicht darum geht, gute Produkte oder Dienstleistungen herzustellen - geschweige denn faire, ökologische oder ethisch progressive. Es geht nur um Umsatz, Gewinn und Marktanteile, also Macht für das Unternehmen und für Samwer.

Samwer fordert auch dazu auf, so handeln, daß die Konkurrenz überrundet wird - unter Inkaufnahme von "Kollateralschäden". Zur Erinnerung: Kollateralschäden sind Tote und Verletzte von Unbeteiligten, zu denen es beim Einsatz von Kriegswaffen kommt. Samwer fordert also dazu auf, so zu handeln, daß es im übertragenen Sinne Tote und Verletzte gibt. Und seine eigenen Mitarbeiter sollen dabei helfen, andere (und wohl auch sich selbst) körperlich und psychisch in die Pfanne zu hauen. Alles nur damit nicht etwa das Unternehmen als Ganzes profitiert (geschweige denn die Gesellschaft), sondern Samwer persönlich ("but i won and this it was matters").

In falschem Englisch behauptet Samwer auch, Enkelkinder würden seinen Mitarbeitern später vorwerfen, daß sie bei Mißerfolg im Job nicht besser "performt" hätten. Diese Aussage ist offenbar vollkommener Unsinn. Enkelkinder dürften sich nur höchst selten für die beruflichen Erfolge oder Mißerfolge von Oma oder Opa interessieren - insbesondere, die Jahre zurückliegen. Es ist andersherum eher davon auszugehen, daß die Enkelkinder empathische und offene Großeltern wünschen, die schöne Dinge aus der Vergangenheit berichten können - und keine Großeltern, die mit Ellenbogen-Aktionen der Vergangenheit angeben oder aufgrund von Karrierestreben kaum Zeit für ihre Kinder hatten.

Sorge um die psychische Gesundheit von Oliver Samwer ist in Anbetracht solcher Aussagen angebracht: "I am the most aggressive guy". Verhaltensauffällig ist Samwer durch seine Wortwahl, sondern in Bezug auf ein extremes Schwarz-Weiß-Denken, das hier offensichtlich wird.

Im Folgenden sind einige Zitate aus einem Interview mit Herrn Samwer dargestellt, die noch einmal die Denkweise des Firmenchefs weiter entblößen.


Ähnlich großkotzig und plump wie in der Email kommt Samwer auch in der Dokumentation des TV-Magazins Frontal 21 rüber. Das folgende Zitat Stammt aus der Doku: "Die große Samwer-Show" (Siehe Link) die treffend aufzeigt, wie unseriös Rocket Internet und ihre Geschäftsführer sind:

 

[Oliver Samwer:]
"Wir arbeiten jeden 18 Tag äh - jeden Tag 18 Stunden und deshalb gewinnen wir. Nicht weil wir einmal irgendwas vom lieben Gott bekommen haben oder irgendwas von einem Wettbewerber bekommen haben. Oder sonst... Und am Ende - der Edison sagte immer bei den Amerikanern - ein Prozent ist Ideen, 99 Prozent ist der Schweiß. Und wir sind ganz stark - äh - in dem Bereich - äh - Arbeit, Fleiß - äh - und der deutschen Tugenden unterwegs"

 

Die Aussagen von Oliver Samwer zeigen deutlich, welche Grundeinstellung bei Rocket Internet vorherrscht. Bei 18 Stunden Arbeit am Tag blieben gerade einmal 6 Stunden übrig für Schlaf, Abendessen, An- und Abfahrtswege und soziale Interaktion außerhalb des Jobs - mit Familie oder Freunden. Für die meisten Menschen würden diese 6 Stunden nicht einmal allein genügend Zeit für Schlaf sein, um langfristig gesund zu bleiben. Das bedeutet, man kann bei einem 18-Stunden-Arbeitstag vielleicht von einer Schlafzeit von vier Stunden ausgehen. Wer dauerhaft an fünf von sieben Tagen nur vier Stunden pro Nacht schläft wird, schnell erkranken - sowohl körperlich, als auch seelisch. Das hat nichts mit "deutschen Tugenden" zu tun, wie Samwer hier fabuliert. Das Stottern und die vielen Versprecher können im Übrigen bereits auf eine solche Belastungsstörung bzw. einen Schlafmangel hindeuten.

 

[Und hier ein Zitat des "Rocket" Pressesprechers Andreas Winiarski aus der Dokumentation:]

"Es gibt schon so den Bedarf in der jungen Generation, Dinge anders zu machen. Die einfach sagen: Hier und jetzt - es ist mein Leben, ich möchte meinen Traum leben. Wenn man Visionen hat, muß man nicht zum Arzt gehen, wie ein Bundeskanzler mal postuliert hat - sondern, die einfach die Welt vielleicht auch zum besseren Ort machen wollen. Und ich glaube, hier finden sie auch die Plattform für sich selbst. Weil ich glaub, man darf sich auch nicht viel vormachen - viele kommen hier her, um auch reich und berühmt zu werden."

 

Herr Winiarski ist offenbar etwas verwirrt (Schlafmangel? Kokain?), denn er widerspricht sich selbst deutlich in diesem Absatz. Kommen die Mitarbeiter nun zu Rocket Internet, um "reich und berühmt" zu werden, oder um ihren "Traum leben" zu können und "die Welt vielleicht zu einem besseren Ort" zu machen. Unwahrscheinlich, daß man beides unter einen Hut kriegt.

Die drei an Rocket-Internet beteiligten Brüder, sind allesamt ehemaligen Absolventen elitärer Bildungseinrichtungen: Marc, Oliver und Alexander machten ihr Abitur am altsprachlichen Friedrich-Wilhelm-Gymnasium in Köln. Daneben stehen Namen von Institutionen wie der Harvard Business School, der Oxford University, der Otto Beisheim School of Management oder der "Kellogg School of Management". Die hier zur Schau gestellte Leistungsdenken wird auch in der Sozialisation im Rahmen der elitären Bildungsbiographie begründet sein.



Das alles ist mehr oder weniger deprimierend, und wurde von der Hamburger Band "Die Goldenen Zitronen" im Jahr 2001 (zum Zeitpunkt der großen Börsenblase, dem Aufstig des sogenannten "Neuen Marktes" usw.) in folgender Art und Weise lyrisch verarbeitet:


Das Comeback des Tempomat

Ich weiss nicht warum uns kaum jemand hasst
Uns World-Wide-Dot-Com-Popper aus den Mitten der neuen Stadt
Wir sind das Comeback des Tempomat
Der seinerzeit noch als Feindbild galt
Wir sind Netzpiloten, Webmatrosen.
Start Up-lotsen, mobile Kickboardboten
Wir sind globalweit online virtual
Wie`s Weltmenschheit sonst so ergeht ist uns scheissegal
No way greifbar, immer erreichbar

Der Kampf geht weiter, Börsengang noch in diesem Jahr
Wir sind Netzpiloten. Webmatrosen.

Loft Chaoten. solide Vollnarkosen

 


Mehr zum Thema im folgenden Buch:

  Buch-vorne-500

Neoliberalyse -
Über die Ökonomisierung unseres Alltags


Verlag: Mandelbaum Verlag, Wien 2014.
Autor Christopher Stark
ISBN Nr. 9783854766353.



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