"Frauen müssen Freude am Wettbewerb finden"
Ellenbogen verpackt als Emanzipation
Zur Person: Manuela Rousseau ist Leiterin der Corporate-Social-Responsibility-Abteilung der Beiersdorf AG, Hamburg. Sie sitzt im Aufsichtsrat der Beiersdorf AG und im Aufsichtsrat der maxingvest AG. 2002 wählte ‚Vogue Business‘ Manuela Rousseau unter die ‚100 Top Business Frauen‘ in Deutschland.
tagesschau.de: Studien zeigen: Je höher die Hierarchieebene, umso weniger Frauen gibt es. Bekommen Frauen nicht die gleichen Karrierechancen wie ihre männlichen Kollegen oder schrecken sie vor der Verantwortung zurück?
Manuela Rousseau: Es kommen zwei Dinge zusammen. Erstens sind die gut ausgebildeten Frauen auf dem Weg. Das dauert nur eine gewisse Zeit, bis sie oben angekommen sind. Zweitens müssen sich Frauen wirklich konsequent entscheiden. Frauen haben die Möglichkeit, voll berufstätig zu sein und eine Karriere anzustreben. Frauen haben auch die Möglichkeit, sich für Kinder zu entscheiden.
Es gibt außerdem den Weg, mit Kindern Karriere zu machen. Das Wichtigste ist: Jede Frau muss für sich diese Entscheidung treffen und die Konsequenzen tragen. Wenn eine Frau ja sagt zu Führung und zu Verantwortung, dann sagt sie auch ja zu langen Arbeitszeiten, zu Reisen, zu internationalem Arbeiten und ja zum Arbeiten in Hierarchien.
Das berechtigte Streben nach Gleichberechtigung wird in der dargestellten Passage aber von einer etwas anderen Argumentationslinie überlagert. So wird die Verantwortung der Frauen und der Gesellschaft, für Gleichberechtigung zu sorgen, von Rousseau mit drei Bedingungen ergänzt. Damit ist klar, daß es nicht nur um diskriminierungsfreies Arbeiten in allen Positionen geht, sondern daß von „den Frauen“ etwas Zusätzliches verlangt wird. Sie sollen laut Rousseau auch die unbequemen Seiten des Arbeitslebens für sich akzeptieren. Sie sollen sich demnach in Hierarchien ein- und ihnen unterordnen („Sagt ja zu […] Arbeiten in Hierarchien“), sie sollen lange Arbeitszeiten akzeptieren („Sie sagt ja zu […] langen Arbeitszeiten“) und bereit sein, für die Arbeit Ortswechsel über große Distanzen hinzunehmen („ja zu […] internationalem Arbeiten“). Und nicht nur das. Sie sollen diese Bedingungen nicht nur akzeptieren, sondern auch enthusiastisch „ja sagen“.
Diese Aussagen sind paradox. Frauen sollen von sich aus Dinge einfordern, die klassischerweise als Gründe dafür gelten, daß Frauen bestimmte Berufs- und Arbeitsbereiche meiden. Warum sollte überhaupt ein Mensch, ganz gleich, ob Frau oder Mann die hier angesprochenen schlechten Arbeitsbedingungen für sich einfordern wollen?
tagesschau.de: Wie müssen sich Frauen persönlich weiterentwickeln, um auf der Führungsebene Karriere zu machen?
Rousseau: Wenn Frauen nicht bereit sind, die Regeln auf den Führungsebenen mitzuspielen, kommen sie nicht weit. Viele Frauen haben mentale Blockaden, die es ihnen unnötig schwer machen. Sie sind nicht direkt genug, wenn es zum Beispiel um die Bewerbung um eine Führungsposition oder eine angemessene Bezahlung geht. Als Frau muss man deutlich adressieren und seine Bedingungen einfordern.
Außerdem müssen Frauen akzeptieren, dass aufgrund knapper Führungsressourcen ein Wettbewerb stattfindet, in dem es eben Ellenbogen gibt. Frauen kann es helfen, Freude am beruflichen Wettbewerb zu entwickeln, Selbstzweifel zu überwinden und Frauen müssen den Umgang mit Macht realistisch einschätzen. Ich habe viele Frauen erlebt, die sagen: ‚Ich will keine Macht‘, sie meinen, Macht sei etwas Negatives. Macht bedeutet, positiv gestalten zu können. Macht bedeutet nicht, Ellenbogen auszufahren, Menschen zu überrumpeln oder sich Vorteile zu verschaffen.
Und so sollen die Frauen, wie in der Führungsetage erwünscht, einen Sinn für Macht entwickeln, die „Ellenbogen“ ausfahren und sich im „Wettbewerb“ durchboxen. Gleich im nächsten Satz widerspricht sich Frau Rousseau aber und relativiert, Ellenbogenbewußtsein bedeute ja nicht automatisch, daß andere Menschen „überrumpelt“ würden oder daß man sich „Vorteile verschaffe“. Dieser Nachschub wirkt insgesamt sehr unglaubwürdig, da er der gesamten Argumentationslinie widerspricht. Er kann folglich als eine Art verbale Relativierung verstanden werden, wobei die Argumentation im Grundsatz unberührt bleibt. Frau Rousseau möchte, daß sich Frauen an die offenbar wenig zivilisierten Verhaltensweisen einer aggressiven Männerwelt anpassen, anstatt diesen Gesellschaftsbereich durch angemessenere, zivilisiertere Umgangsformen, etwa durch Gemeinschaftssinn und Kooperation, positiv zu verändern.
tagesschau.de: Beeinflussen Frauen in Führungsgremien ein Unternehmen positiv?
Rousseau: Studien belegen eindeutig, dass gemischte Teams erfolgreicher sind. Wenn Frauen sich inhaltlich auf Augenhöhe mit den Männern bewegen, haben Frauen die Möglichkeit andere Facetten einzubringen, die manchmal im Alltag untergehen. Das heißt, stärker auf unterschätzte Faktoren, wie offene Kommunikation, Respekt, Gerechtigkeit, Anerkennung und Lob zu achten. Das beeinflusst die Arbeitsatmosphäre wesentlich. Diese Mentalität haben Frauen eher als Männer.
tagesschau.de: Die einen behaupten, dass Frauen systematisch nicht in Führungspositionen eingesetzt werden. Einige Unternehmen beschweren sich aber, dass sie nicht genügend Frauen finden, die eine Spitzenposition haben wollen. Was stimmt?
Rousseau: Es gibt noch nicht viele Frauen in Vorstands- und Aufsichtsräten. Das liegt zum Teil auch an den Frauen selbst. Der Aufsichtsratsvorsitzende bei Beiersdorf hat einmal gesagt: „Wenn ein Mann mal so richtig erleben möchte, was es heißt, sich Körbe einzuholen, soll er Frauen anrufen und fragen, ob sie Lust hätten, in einem Aufsichtsrat mitzuarbeiten“. Oft ist es so, dass Frauen da eher zögern. Bei Männern hört man – scherzhaft gesprochen – schon die Sektkorken knallen.
tagesschau.de: Der Anteil von Frauen in Führungspositionen ist gestiegen, sie sind aber längst nicht mit den Männern gleichgezogen. Wohin geht der Trend?
Rousseau: Wir brauchen neue Rahmenbedingungen und Arbeitsmodelle, die zeitgemäß sind und die es Frauen ermöglichen, zunehmend berufliche Verantwortung zu übernehmen und Karriere zu machen. Vielleicht kommen wir auf Dauer dahin, dass auf mittleren Führungsebenen Führung in Teilzeit möglich wird. Das Bewusstsein für diesen Bedarf steigt kontinuierlich und das stimmt mich optimistisch.
tagesschau.de: Was muss sich in Deutschland ändern, damit mehr Frauen Führungspositionen besetzen?
Rousseau: In den kommenden Jahren haben wir demographisch gesehen immer weniger qualifizierte Arbeitskräfte zur Verfügung. Die Arbeitsbelastung einzelner nimmt stetig zu, es wird schwieriger, Beruf und Familie zu vereinbaren. Wir müssen zwangsweise einen Weg finden, wie sich Männer und Frauen ihre Arbeit so aufteilen können, dass sie den Unterhalt der Familie sicherstellen können. Das wird die Aufgabe der Zukunft: Die richtigen Unternehmensstrukturen zu finden, damit Männer und Frauen gleichermaßen Karriere machen können und auch Zeit für ihre Kinder oder auch für pflegebedürftige Angehörige finden. Mehr Miteinander statt Nebeneinander ist eine Antwort auf gesellschaftliche Herausforderungen, in denen Frauen tatsächlich die gleichen Chancen finden.
Insgesamt ist dieses Interview ein typisches Beispiel für das Verhältnis des Neoliberalismus zur Emanzipation der Frau. Menschen werden aufgefordert, nicht etwa das zu tun, was ihnen Freude bereitet und sich ein humanes Arbeitsumfeld zu suchen, sondern sich in ein offensichtlich archaisches System von Wettbewerb und Hierarchie einzureihen, um dort auf der Karriereleiter in einer Hierarchie aufzusteigen und über andere zu herrschen. Mit dieser Argumentationslinie wird der Druck von Unternehmen genommen, für angemessene Verhaltensweisen jenseits eines überkommenen und patriarchalischen Gehabes zu sorgen.