Poetry Slam - Wettbewerb statt Qualität
Wie sich sogar banale Unterhaltungsformate harmonisch in eine neoliberale Gesellschaft einfügen

 

Ökonomisierungslogiken und Wettbewerb sind nicht nur Dreh- und Angelpunkte niveauarmer Unterhaltungs­sendungen im Fernsehen, sondern auch auf der Bühne in Form pseudo­intellek­tueller Veranstaltungen zur Selbst­darstellung und zum Popularitäts­vergleich von Amateurlyrik. Derlei Veranstaltungen heißen zum Bei­spiel Poetry Slams. Be­schaffen­heit und Sinn dieser Unterhaltungsform soll im Folgenden anhand von Zitaten der Internetseite „Myslam.net“ zusammengefaßt werden1:

 

Was ist Poetry Slam? 
Poetry Slam (deutsch: Dichterwettstreit) ist ein literarischer Vortrags­wett­bewerb, in dem selbstgeschriebene Texte innerhalb einer bestimmten Zeit einem Publikum vorgetragen werden. Bewertet werden sowohl der Inhalt der Texte als auch die Art des Vortrags.  

Wett­bewerb

Im Gegensatz zu einem Open Mic oder den Lesebühnen stehen die einzelnen Teilnehmer bei einem Slam untereinander im Wettbewerb. Dieser Wettbewerbs­aspekt dient vor allem dazu, das Publikum zum Mitfiebern und Mit­werten einzuladen, da das Publikum auch den Sieger kürt.    
Ebenfalls ist der Wettbewerb ein effektives Mittel für die Dichter, unmittelbares Feedback von einem interessierten Publikum zu erhalten, und soll als Ansporn für die Arbeit an den eigenen Texten und am Textvortrag, nicht aber als Grund für ernsthafte Rivalitäten genommen werden. […]  

 

Es werden bei Poetry Slams also Texte vor einem Publikum vorgetragen, das dann über die Autoren abstimmt und somit einen „Sieger“ kürt. Dem Publikum scheinen hierbei laut Aussage der Internetseite Textinhalt und Vortrag nicht auszureichen, sondern das Ganze muß offenbar durch die zusätzliche Kompo­nente des Wettbewerbs reizvoller gestaltet werden. Wettbewerb soll hier als An­sporn genutzt werden. Die Motivation, einen Text zu schreiben, der einen rele­vanten Beitrag zum Weltverstehen leistet, etwas Wichtiges aussagt oder gar ein besonderes künst­lerisches Werk darstellt, ist dementsprechend nicht primäre Triebfeder des Auftretens im Rahmen solcher Veranstaltungen.

 

Slam im deutschsprachigen Raum    
In Deutschland reicht die Tradition des Dichterwettstreits bis ins Mittelalter zurück. Am bekanntesten ist hier der Sängerkrieg auf der Wartburg im 13. Jahrhundert. […]    
Anders als im Ursprungsland gab es bei den jährlichen Meisterschaften des deutschen Sprachraumes zwei getrennte Disziplinen. Neben dem Einzelwettbewerb traten im Gruppenwettbewerb Teams von zwei bis fünf Dichtern an und trugen gemeinsam geschriebene Texte mehrstimmig vor.  

Slam heute    
Das Veranstaltungsformat Poetry Slam hat sich seit seiner Entstehung vor allem in Nordamerika und Europa ausgebreitet. Die Zahl der Veranstaltungsorte steigt weiterhin stark an. Auch in anderen europäischen Ländern finden regel­mäßig Poetry Slams statt. In Singapur und in Ubud auf Bali finden die ein­zigen bisher bekannten Slams Asiens statt. In Afrika gibt es in Gabun einen regel­mäßigen Slam und auch in Neuseeland und Australien etabliert sich zu­nehmend eine Slamszene.    

Im Jahr 2004 wurden erste Versuche von Slamweltmeisterschaften gemacht. [...] Sowohl die sehr hohen Kosten, die mit der Anreise der Teilnehmer aus den verschiedenen Ländern entstehen, als auch die Sprachbarrieren machen ein solches Unterfangen jedoch zu einem Projekt, das seinem Anspruch kaum gerecht werden kann.  

 

Dichterwettbewerbe sind also, wie der Verweis auf den mittelalterlichen „Sänger­krieg“ zeigt, nicht neu. Sie tragen aber heute natürlich nicht mehr unpopuläre Worte wie „Krieg“ im Namen, sondern heißen zeitgeistgerecht „Slam“.
Die Art und Weise, mit welcher der Autor der Inter­netseite die geographische Ausbreitung jener „Bewe­gung“ formuliert, zeigt, daß auch der Wett­be­werb gezielt inter­natio­nalisiert werden soll. Die neoliberale Mode der Globalisierung (öko­no­mischen) Wett­be­werbs, sickert also hier in den Lebensbereich der Freizeit­unterhaltung. Man möchte sich nicht mehr damit begnügen, „nationaler Cham­pion“ zu sein, sondern möchte sich „Weltbester“ nennen können.
Hier sind ein­deutige Parallelen zur expansionswütigen Großunternehmen und den allgemeinen Ziel­setzungen neo­liberaler Bildungspolitiker zu erkennen, die alle­samt Wett­be­werb globalisieren wollen und von Großmachtphantasien ge­trieben scheinen (Stich­worte „Welt­markt­führer“, „Wettbewerb der Wissen­schaftsstandorte“, „inter­nationale Spitzen­forschung“ usw.).

 

1 Quelle der Zitate: Myslam.net | www.myslam.net/de/pages/what-is-poetry-slam (Zugriff: 10/2012).

Einen Kommentar verfassen

Als Gast kommentieren

0 / 1000 Zeichen Beschränkung
Dein Text sollte weniger als 1000 Zeichen lang sein
Deine Kommentare erfordern die Moderation durch den Administrator
Nutzungsbedingungen.
  • Gast - Ralf Callenberg

    19. Mai 2014:
    Ein herrliches Beispiel für "an den Haaren herbeigezogen". Zunächst mal: das Wort "Krieg" hatte ursprünglich eine weitere Bedeutung als heute, umfasste generell "Anstrengung" und "Wettstreit". Wobei im Wort "Slam" witzigerweise, der Wettbwerbsgedan ke zurücktritt. Und die Behauptung, dass internationale Wettbwerbe eine neoliberale Mode sein sollen, ist mit dem Wort "abstrus" noch höflich umschrieben. Spätestens seit dem 19. Jahrhundert trägt man Wettbewerbe in unzähligen Sportarten und Spielen international aus. Wobei das beim Poetry Slam eben in den Kinderschuhen steckenblieb. Alleine deshalbe schon sind "Parallelen zu expansionswütig en Großunternehmen " nicht eindeutig sondern konstruiert. Zudem, wer jemals bei einem Poetry Slam war, weiß, dass der Wettbewerbsgeda nke eher im Hintergrund steht. Es gilt eben nicht "Siegen ist alles".

    kurze URL:
today betting odds today soccer prediction football dropping odds and tips